Andrea Fregosi

1920–2002

Fregosi 3
Andrea Fregosi, um 1940
© Familie Fregosi

Andrea Fregosi wird 1920 in Mailand geboren. Er hat vier ältere Schwestern und einen berühmten Vater, Giulio Fregosi, der Bariton an der Mailänder Scala ist. Durch den frühen Tod seiner Mutter stockt seine Schulbildung. Er wechselt vom Gymnasium auf eine weiterführende Schule, an der man zusammen mit dem Abitur einen Berufsabschluss als Kindergärtner und Grundschullehrer erwirbt. Bei Kriegsbeginn meldet er sich freiwillig.

Foto Grupp AF0001 600ppi
Andrea Fregosi (links) mit zwei Kameraden während der militärischen Ausbildung, Palermo um 1940
© Familie Fregosi

Im September 1943 gerät er in deutsche Gefangenschaft. Auf dem Weg nach Nürnberg-Langwasser durchläuft er viele Kriegsgefangenenlager, insbesondere im besetzten Polen. Um den prekären Lebensbedingungen zu entkommen, willigt er ein, für die Republik von Salò zu kämpfen – jene faschistische Regierung, die sich nach Absetzung Mussolinis und nach dem Waffenstillstand Italiens mit den Alliierten in Norditalien gegründet hatte, um an der Seite der Deutschen weiterzukämpfen. Das „Ja-Sagen“ zur Republik von Salò erfolgt nicht aus Überzeugung, sondern ist der Versuch, die Freiheit wiederzuerlangen. Im Juni 1944 wird er mit anderen „Ja-Sagern“ nach Italien entlassen. Es gelingt ihm in der Tat, nicht für die faschistische Regierung kämpfen zu müssen.

Zettel Aus Deportationszug Geworfen
Andrea Fregosi versucht, durch fallengelassene Notizzettel und die Weitergabe von Informationen an Passanten in Bahnhöfen, seiner Familie eine Notiz über seine Gefangennahme zukommen zu lassen. Mit diesem Brief informiert ein Herr aus der Region Trient die Familie Fregosi, dass ihr Sohn in einem Gefangenentransport den nahegelegenen Bahnhof in Mezzocorona passiert habe, 20. September 1943.
© Familie Fregosi
Morte Di Tifo
Andrea Fregosi durchläuft im ersten Halbjahr seiner Gefangenschaft ein halbes Dutzend verschiedene Lager und wird mit Leid und Sterben konfrontiert. „Typhus-Tod“ heißt eine seiner Zeichnungen aus dem Lager Pikulice, an der polnisch-ukrainischen Grenze.
© Familie Fregosi
20190624122215063 0002
Aufzeichnungen von Andrea Fregosi während seiner Gefangenschaft in Nürnberg-Langwasser, April 1944
© Familie Fregosi
 

„14. April 1944 – Nürnberg
Zirka ein Monat, ohne zu schreiben! Vielleicht ist es der nach den letzten reichlichen Schneefällen plötzlich ausgebrochene Frühling, oder das Verlangen, mich von der Gemeinschaft abzusondern, was mich so träge gemacht hat? Ich weiß es nicht. Ich fühle mich desorientiert in diesen abscheulichen Baracken. Ich komme mir vor wie eine aus ihrem Kokon geschlüpfte Seidenspinnerraupe. Der Vergleich ist nicht ganz abwegig, denn hier drinnen stinkt es genauso wie in einer Seidenraupenzucht. Nur dass der Gestank hier von den (nicht allzu sauberen) Körpern erzeugt wird, die in den vierundzwanzig extrem aufgeheizten Schlaffstätten liegen. Wenn dieses sinnlose Leben noch länger andauert, wird es noch böse enden.
Einer hat vor ein paar Tagen versucht, sich zu erhängen. Ich habe Mitleid mit ihm. Vielleicht weil er es nicht geschafft hat zu sterben oder weil er verrückt ist? – Was weiß ich!
Hier in den Lagern hat man völlig verschrobene Gedanken.
Ich glaube, dass wir alle mehr oder weniger verrückt sind!“

04d Andrea Fregosi Anei Rom 4
„Unwetter über dem Lager“, Nürnberg-Langwasser im Juni 1944. Fast immer stehen in den Zeichnungen, die Andrea Fregosi während seiner Gefangenschaft in Nürnberg anfertigt, das Lager und seine Gebäude im Mittelpunkt.
© Familie Fregosi
04d Andrea Fregosi Anei Rom Scans 5
„Sonne über den Tabakbäumen“, Nürnberg-Langwasser im Mai 1944. Was es mit diesem Titel auf sich hat, bleibt unklar.
© Familie Fregosi

Fortan arbeitet er bei der Stadtverwaltung. 1947 heiratet er und wird Vater von zwei Töchtern. Die Gefangenschaft begleitet ihn. Bis ins hohe Alter engagiert er sich in Opferverbänden der deportierten italienischen Soldaten für die Anerkennung ihrer Gefangenschaft.

Diario Manoscritto Andrea Fregosi
Mit der Rückkehr nach Italien und dem Kriegsende endet für Andrea Fregosi die Auseinandersetzung mit der Gefangenschaft nicht. Viele Skizzen, die er mit Blei- oder Kohlestift in sein kleines Notizheft gezeichnet hatte, arbeitet er später in farbige Gemälde um wie das Bild eines sowjetischen Kriegsgefangenen, das die Bildunterschrift trägt: „Zwei große, tief melancholische Augen erzählten von seiner tragischen Odyssee“.
© Familie Fregosi

Weitere Biografien